Atypische Netznutzung
Bei der atypischen Netznutzung reduziert ein Verbraucher seinen Strombedarf gezielt während Spitzenlastzeiten. Dadurch wird das Netz entlastet und der Netzbetreiber braucht weniger Reserven, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Im Gegenzug erhält der Verbraucher, der seine Last reduziert, eine Vergütung in Form von reduzierten Netzentgelten
Zweck
In herkömmlichen Stromsystemen kann die Stromerzeugung an den Strombedarf angepasst werden. Steigt der Bedarf, wird das Kraftwerk hochgefahren. Sinkt der Bedarf, wird das Kraftwerk runtergefahren.
Erneuerbare Energien wie PV und Wind lassen sich nicht steuern. Dadurch gibt es in erneuerbaren Stromsystemen weniger Flexibilität auf der Angebotsseite. Daher braucht es Flexibilität auf der Verbraucherseite.
Vergütungen für atypische Netznutzung schaffen also finanzielle Anreize für große Verbraucher, Ihre Lasten während Spitzenzeiten zu reduzieren. Dadurch wird nicht nur die Netzstabilität gefördert, sondern auch der Bedarf für den Netzausbau gesenkt.
Umsetzung
Im Grunde gibt es zwei wichtige Konzepte in der Umsetzung der atypischen Netznutzung: Hochlastzeitfenster und die Erheblichkeitsschwelle.
Hochlastzeitfenster
Hochlastzeitfenster werden vom Netzbetreiber ermittelt. Das geschieht separat für jede Netz- und Umspannungsebene und für jede Jahreszeit.
Die Jahreszeiten sind dabei wie folgt definiert:
Für jede Jahreszeit wird dann eine sogenannte Maximalwertkurve erstellt. Dabei wird der Tag in 96 Zeitfenster von je 15 Minuten geteilt und die jeweilige Höchstlast in dem Zeitfenster über die gesamte Jahreszeit betrachtet.
Dann wird der Jahresmaximalwert bestimmt. Also der höchste gemessene 15-Minuten Wert in einem gesamten Jahr.
Zur Bestimmung der Hochlastzeitfenster wird der Jahresmaximalwert um 5% reduziert und angesetzt. Ist der Jahreshöchstwert also bspw. 1 MW, ist der Schwellenwert für 950 kW. Liegt der Wert im Sommer zwischen 15:00-15:15 bei 1,1 MW gilt dieses Zeitfenster für den Sommer als Hochlastzeitfenster.
Beispiel
Die Illustration zeigt beispielhaft Maximalwerte für eine Jahreszeit. Für die Diskussion nehmen wir an, dass es sich um den Sommer handelt. Die Jahreshöchstlast liegt bei 700 MW. Der Schwellenwert liegt entsprechend bei 665 MW (95% der Höchstlast). Der Schwellenwert wird nun auf die jeweiligen Maximalwerte im Sommer angewandt. Alle Maximalwerte, die über der Schwelle liegen, gelten als Hochlast. Dadurch ergeben sich zwei Hochlastzeitfenster. Das erste geht von 08:45 bis 10:00. Das zweite von 11:15 bis 12:00.
Erheblichkeitsschwelle
Um verminderte Netzentgelte zu erhalten, muss der Verbraucher während der Hochlastzeitfenster erheblich von seiner Jahreshöchstlast abweichen. Zusätzlich muss das Verlagerungspotenzial mindestens 100 kW und die Verminderung der Netzentgelte mindestens 500€ betragen, um sich für für die verminderten Netzentgelte zu qualifizieren. Die Erheblichkeit ergibt sich aus der Differenz zwischen der Höchstlast in den Hochlasteitfenstern und der Jahreshöchstlast geteilt durch die Jahreshöchslast eines Verbrauchers.
Hat ein Verbraucher also eine Jahreshöchstlast von 400 kW und in einem Zeitfenster eine Höchstlast von 300 kW ergibt sich eine Erheblichkeit von 25%:
(400 - 300) / 400 * 100 = 25 %
Für jede Netzebene gibt es eine festgelegte Erheblichkeitsschwelle, ab der Verbraucher verringerte Netzentgelte erhalten können:
Ermittlung des Netzentgelts
Zur Ermittlung des geminderten Netzentgelts wird nun nicht mehr die absolute Jahreshöchstleistung, sondern der geringere Leistungswert während der Hochlastzeitfenster für die Berechnung des Leistungspreise angelegt. Der Arbeitspreis bleibt davon unberührt. Die Reduktion der Netzentgelte ist dabei auf maximal 80% gedeckelt.
Verbraucher mit weniger als 2.500 Benutzungsstunden können für die Berechnung die Leistungs- und Arbeitspreise von Verbrauchern mit mehr als 2.500 Benutzungsstunden heranziehen.
Rechenbeispiel
Wir nehmen einen Verbraucher mit folgenden Daten an:
- Jahreshöchstlast: 500 kW
- Höchstlast in Hochlastzeitfenstern: 300 kW
- Leistungspreis: 70 €/kW
- Spannungsebene: Niederspannung
Daraus ergibt sich folgende Reduktion:
Leistungspreis vorher: 500 * 70 = 35.000€
Leistungspreis nachher: 300 * 70 = 21.000€
Ersparnis: 14.000€ bzw. 40%
Die Erheblichkeit beträgt für dieses Szenario 40% und das Verlagerungspotenzial ist größer als 100 kW:
(500 - 300) / 500 = 40%
Letztlich ist auch die Ersparnis größer als 500€. Somit sind bei der Erheblichkeitsschwelle von 30% in der Niederspannung alle Voraussetzungen für die Reduzierung erfüllt.
Beantragung
Verbraucher müssen bei der Regulierungsbehörde bis zum 30. September einen Antrag stellen, um individuelle Netzentgelte erhalten zu können. Die tatsächlichen Netzentgelte werden dann erst nach Ablauf des Jahres ermittelt. Sollte sich dabei herausstellen, dass keine atypische Nutzung vorliegt, so werden die normalen Leistungs- und Arbeitspreise berechnet.
Beispiel Thüringer Energienetze
Die Thüringer Energienetze geben für das Jahr 2024 die folgenden Hochlastzeitfenster an: